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Samstag, 30. Dezember 2017

Würdet ihr euer Kind ändern?

Halli Hallo :-)

Heute möchte ich gerne meine Gedanken zu eben jener Fragestellung mitteilen.

Wir wurden es glücklicherweise nicht allzu oft gefragt, drei, vier Mal. Aber ich denke, das ist oft genug, um sich mal Gedanken darüber zu machen. Bzw. vielleicht auch mal die Gedanken anderer anzuregen, was das eigentlich bedeutet, sein Kind zu ändern.

Das erste Mal stolperten wir in einem vermeintlich normalen Gespräch darüber, ganz beiläufig sagte die Person: "Tja, wenn man könnte, würde man das natürlich ändern."
Moment, what?
Ich war so perplex, weil sich das für mich einfach falsch anhörte. Ich konnte aber nicht genau sagen, was da gerade schief lief.
In den folgenden Tagen machte mich der Satz irgendwie wütend, aber so richtig zum Nachdenken kam ich nicht.
Bei einem Spaziergang im Ort dann wieder so eine ähnliche Aussage: "Wenn man könnte, würde man es vermutlich ändern, oder?" ... Sorry, aber ich verstehe deine Frage nicht. Wieder ärgerte ich mich immens.
Ich meine, was will man da ändern? Natürlich wünscht sich niemand ein Handicap für sein Kind. Aber mal ehrlich, überlegt doch mal, was würde es genau bedeuten dieses Kind zu ändern?
Würde ich mir den Autismus wegwünschen? Nein, denn ich würde mir ja damit mein Kind wegwünschen. Seine Persönlichkeit, unser Clemens, so wie er ist, würde ohne den Autismus ja überhaupt nicht existieren. All seine Freude, seine Trauer, seine Wut, sein Lachen, seine Art Musik zu hören, sein exzessives Lesen, seine Anflüge von Umarmungen und Kuscheleinheiten, all das ist er. All das macht uns stolz und glücklich. All das ist natürlich auch Arbeit. Aber all das ist er!
Vermutlich wäre ohne seinen Autismus einiges leichter, aber wenn das bedeutet, dass er anders wäre und nicht so, wie er jetzt ist, möchte ich es nicht anders haben!
Im Anthroposophischen sagt man, dass das Kind sich die Eltern aussucht. Er hat sich uns ausgesucht, weil er wusste, dass wir die richtigen Eltern für ihn sind, dass wir es schaffen ihn groß zuziehen, dass wir ihn bedingungslos lieben werden.
Ich würde ihn mir nie anders wünschen. Aber ich wünsche mir, dass die Welt aufhört auf die Kinder und Menschen zu zeigen, die nicht dieser (abstrusen) gesellschaftlichen Norm entsprechen, dass die Welt aufhört mitleidig und bevormundend zu sein, dass die Welt aufhört ausgrenzend zu sein. Ich wünsche mir keine Veränderung meines Kindes, ich wünsche mir eine Veränderung des gesellschaftlichen Denkens!



Bis im neuen Jahr
Eure Stina
PS.: Rutscht nicht zu arg ;-)

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Und wie ist es für euch so?

Seit wir Clemens' Autismusspektrumstörung öffentlich gemacht haben, begegnet uns diese Frage immer mal wieder.
Eine gute Frage. Zumal sie uns fast schon dazu zwingt, uns nicht nur mit dem Autismusspektrum allgemein zu befassen und mit den "Folgen" für unseren Sohn, sondern uns auch bewusst zu werden, wie wir dazu stehen, damit umgehen und was es mit uns macht.

Wie ist es für uns also?
In erster Linie ist es gerade verwirrend. Der Input ist enorm, die Gedanken und Sorgen schießen in alle Richtungen. Von Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt - alles ist dabei.
Wir sehen so vieles klarer, so vieles macht jetzt einfach Sinn. Das macht natürlich einige Situationen im Alltag leichter. Man explodiert nicht mehr so oft, weil man einfach mehr Verständnis aufbringen kann. Bei vielen Dingen versuchen wir nun, selbst den Zauber zu sehen, den Clemens in den Dingen erkennt. Uns öffnet sich wirklich eine neue Welt. Sie scheint spannender, bunter, abenteuerlicher.

Aber dann gibt es noch die Kehrseite.
Vieles ist auch schwieriger geworden.
Der riesen Berg an Untersuchungen, Formularen, Anträgen, der uns nun erwartet. Ich sehe ihn und weiß nicht, was mich da genau erwartet, wo sind wir am besten aufgehoben für weitere Untersuchungen, wo setzte ich am besten an, was hat die höchste Priorität, welcher Antrag kann auch noch warten?
Am schlimmsten sind die Zukunftsängste, die wir nun haben. Natürlich macht man sich als Eltern immer Gedanken und will das Beste für sein Kind. Aber als Eltern von einem "normalen" Kind macht man sich Gedanken, ob die Kinder mal studieren wollen, oder ob sie die Finger von Drogen lassen. Als Eltern von einem Kind mit einem besonderen Extra macht man sich ganz andere Gedanken. Wird das Kind weiterhin im Regelbetrieb eines Kindergartens oder einer Schule teilhaben können, oder muss man doch umsatteln, wie wird seine berufliche Zukunft dann aussehen? Kann er sein Leben irgendwann einmal (weitestgehend) alleine bestreiten, oder wird er immer auf Hilfe angewiesen sein? Und wenn er lebenslange Hilfe braucht, wird er diese Hilfe in der Familie finden, oder muss er womöglich in eine Einrichtung?  Wie wird die Umwelt mit ihm umgehen? Wird es ihm erspart bleiben, dass andere Kinder ihn als dankbares Opfer sehen und ihn  hänseln oder übergriffig werden? Muss ich seine Sachen eines Tages aus der Schultoilette fischen oder ihn aus einer Mülltonne rausholen? Wird er irgendwann ein mal im Kindergarten oder der Schule einen Shutdown erleben? Wird er von den Menschen weiterhin normal behandelt, oder wird er nun gemieden und ausgegrenzt? 
Autismus ist dynamisch, wird es für ihn weiterhin positiv laufen, oder erleben wir Rückschläge, die extremer sind, als das, was wir uns jemals ausgemalt haben?
Und was heißt das alles für unser Sozialleben? Werden wir nun gemieden?
Ja, es geht nicht nur um unser Kind, es geht auch um uns. Darum, wie wir nun unser Leben gestalten, welchen Rückhalt wir erfahren, welche Möglichkeiten zum Austausch es für uns gibt. Und vor allem, welche Möglichkeiten sind vorhanden, um  einfach auch weiterhin Stina und Sebastian zu sein und nicht nur die Eltern eines gehandicapten Kindes. (Übrigens ergibt sich hieraus ebenfalls eine Fragestellung, die uns öfter begegnete in den letzten Tagen: Würdet ihr euer Kind ändern, wenn ihr könntet? Dazu werde ich einen eigenen Post verfassen, da ich finde, dass es eine enorm wichtige Frage ist, die viel Platz für Gedanken braucht.)

Wir müssen lernen den Dingen ihren Lauf zu lassen, mehr als je zuvor. All die Sorgen und Ängste sind schlicht und ergreifend Zukunftsmusik. Niemand weiß, wie er sich weiter entwickeln wird. Und egal wie, wir müssen es so nehmen, wie es kommt.

Fazit: ja, es ist anstrengend und nicht leicht für uns. Das Gedankencarousell  dreht sich. Aber es ist leichter, als vorher, da wir nun etwas Greifbares in der Hand haben. Das Kind hat einen Namen bekommen.
Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis sich wirklich alles gesetzt hat und wir mit der Diagnose in der Tasche richtig durchstarten werden. Aber jeder Tag bringt uns diesem ganzen etwas näher.
Und das Wichtigste: Er hat zwar ein Handicap, aber er leidet nicht an einer tödlichen Krankheit!

Bis bald
Eure Stina

Dienstag, 26. Dezember 2017

Die Diagnosebögen

Hallo ihr Lieben,

heute möchte ich ein wenig über die Diagnosebögen berichten.

Ich bekam zwei verschiedene Bögen, einen sehr umfangreichen, allgemeinen Beurteilungsbogen und den DISYPS III FBB ASKS, ein Bogen speziell um eine Störung im Autismusspektrum zu diagnostizieren. Außerdem bekam ich von beiden Bögen noch ein Exemplar für die Erzieherinnen der KiTa.

In dem allgemeinen Verhaltensbogen wurden Aspekte aus so ziemlich allen Lebensbereichen abgefragt:

Motorik: z.B. auf/zudrehen, klettern, springen, laufen
Sprache: spricht er viel/wenig, Wortschatz, 2/3Wortsätze
Sozialverhalten / Aggressivität: spielt er mit anderen, sucht er Kontakt, ist er wütend, flippt er aus
Sauberkeitsverhalten: wurde schon mit Toilettentraining begonnen, wie lief es, klappt das ganze gut
Spielverhalten: spielt er mit anderen, spielt er alleine, spielt er Rollenspiele, puzzeln, konstruieren
Vorlieben: hat er Hobbies, wie intensiv geht er Dingen nach
Essverhalten: isst er viel/wenig, gibt es Probleme beim Schlucken oder Kauen, ist ein Sättigungsgefühl vorhanden


Die Aussagen im Bogen entsprachen fast exakt den Stärken und Schwächen, die ich während der aktiven Testung bei den Terminen in der Praxis beobachten konnte.
Die Antwortmöglichkeiten zu den Aussagen und Fragen waren in einer Intensitätsabstufung gehalten, sprich: oft/nie, mehrmals in der Woche/nie, sehr gut/schlecht.
Manche Fragen, z.B. zur Sauberkeitserziehung, konnte ich wiederum  nicht wirklich beantworten, da keine Antwortmöglichkeit dem tatsächlichen Stand von Clemens entsprach (Er trägt noch Windeln). 
Während des Ausfüllens hatte ich ganz oft dieses bedrückende Gefühl. Wird Clemens nun mehr an dem Bogen gemessen, oder an seiner Persönlichkeit?! Ich tat mir recht schwer, legte den Bogen oftmals an die Seite, nur um ihn zwei Sekunden später wieder ran zuziehen. Schlussendlich biss ich mich aber daran fest, da ich ja wollte, dass das ganze Unterfangen auch einen Nutzen hat und ich auch einfach ein wenig vertrauen musste und zwar Frau J. Ich musste mich einfach daran halten, dass sie ihn nicht nur stur in eine Schublade steckt, sondern den Bogen nur als eine Beurteilungshilfe sieht und ihm einen ganz individuellen Stempel gibt.
Während des Ausfüllens stachen mir immer wieder Fragen in die Augen, deren Antworten so eindeutig "Autist" schrien. Ich redete mir ein, dass dies noch nichts zu bedeuten hat. Dass es zumindest nicht zwangsläufig "Autismusspektrum" heißt.
Alles in allem waren meine Antworten recht durchwachsen. Aber das überraschte mich nicht.
Nachdem ich den Bogen ausgefüllt hatte, war ich erst einmal müde und abgeschafft. Dieser extreme emotionale Druck...

Den DISYPS habe ich später am selben Tag ausgefüllt. Der Bogen war nicht ganz so umfangreich, wie der erste, aber war trotz allem doch spezifischer. Die Antwortmöglichkeiten waren in ihrem Zeitraum nun noch engmaschiger. Es ging nicht mehr um Wochen, sondern um Tage: mehrmals am Tag/nie.
Während des Lesens der Einführung brüllte wieder das Wort "Autismusspektrum" in meinem Kopf rum, extrem laut.
Grundsätzlich waren die Abschnitte die selben, wie bei dem ersten Bogen. Die Formulierungen der Fragen/Aussagen war etwas anders gehalten, tiefgehender bzw. radikaler, weswegen manche Antworten noch einmal extremer ausfielen, als bei dem ersten Bogen.
In keinem Bereich fiel die Antwort auch nur ein Mal wirklich positiv aus. Es war klar, dass er nicht der "Norm" entsprach, dass er zwanghaftes Verhalten zeigte, dass er nicht wirklich sozial veranlagt ist. Es tat weh zu sehen, was ich ja eigentlich wusste. Aber es so schwarz auf weiß zu sehen, war nochmal heftiger, als das Sehen und Wegschieben der letzten Monate.
Nach dem Ausfüllen dieses Bogens hatte ich einen Moment der absoluten Klarheit: Ja, mein Kind ist Autist.
Aber so schnell diese Klarheit da war, flog sie auch wieder davon. Oder besser, ich schob sie weg. Noch war nichts verloren, schließlich hatte ich das letzte Mal einen Diagnosebogen in der Hand, als ich mich noch im Grundstudium befand. Ich versteckte mich hinter meinem vermeintlichen Laientum.

Die Bögen der Erzieherinnen waren die selben, wie meine. Ein, zwei Fragen waren anders oder fanden dort noch zusätzlich Platz.
Die Antworten fielen, bis auf die Aggressivität, genauso aus, wie meine.
Bei der Durchsicht hatte ich wieder diese Klarheit.
Die Erzieherinnen waren wirklich sehr bemüht und nutzten die Spalten für eine eigene Einschätzung sehr intensiv.
Der Tenor blieb aber trotz allem der selbe.

So, bis hierhin. Ich merke, ich habe schon wieder so vieles vergessen. Und wieder der Vorsatz, in Zukunft Notizen zu machen.

Bis bald
Eure Stina

Überraschung

Ihr Lieben,

wir hoffen, dass ihr die Feiertage besinnlich im Kreis eurer Lieben begehen konntet.
Wir hatten schöne Weihnachtstage und verbringen nun den Rest des Jahres in Ruhe, bevor es im neuen Jahr mit dem üblichen Alltagschaos los geht.

Wir haben in den kommenden Wochen einige Überraschungen für euch.
Zum einen werden ein paar Gastbeiträge ihren Weg auf diese Seite finden und zum anderen werden wir eine kleine Aktion mit dem Motto "familypride" starten. Dazu möchte ich aber noch nicht zu viel verraten :-)

Habt's fein :-)
Bis bald
Eure Stina

Samstag, 23. Dezember 2017

Und dann war es inoffiziell offiziell

Bei unserem letzten Termin für dieses Jahr, war es dann auf einmal soweit.
Aus einer eher schlechtlaufenden kognitiven Testung entwickelte sich ein Gespräch zwischen mir und unserer Pädagogin.
Es war ein sehr angenehmes Gespräch über sein Können und Nicht-Können. Und dann brach es plötzlich aus mir raus, ohne jede Vorwarnung. Ich merkte erst, was ich sagte, als ich mich selbst reden hörte.
Ich sagte Frau J. , dass ich weiß, dass er Autismus hat, auch ohne diese ganzen Bögen und Tests, dass ich es schon immer wusste und es für mich zunächst keine Änderungen geben würde, da sich unsere Baustellen ja trotz Diagnose erst einmal nicht auflösen würden und er trotz allem mein Kind ist! Mein Kind, dass ich liebe.
Frau J. schaute mich ganz fest an und sagte dann: "Sie wissen, ich darf keine Diagnose stellen, aber ja, es deutet einiges daraufhin."
Ich antwortete, dass ich es einfach schon immer wusste, woraufhin sie ihren Block nahm und sich etwas notierte.
Ich erzählte ihr davon, dass ich in den letzten beiden Jahren immer mal wieder am Autismus hängengeblieben bin und dass einfach so vieles eigentlich deutlich ist, anderes wiederum nicht. Und auf ein mal sprachen wir ganz offen über Autismus. Sie vermied tunlichst, das auszusprechen, was wir beide wussten, nämlich, dass Clemens eine Autismusspektrumstörung hat. Aber sie verneinte nie eine meiner Aussagen. Sie empfahl mir ein Buch, dass sie während des Studiums ein mal gelesen hatte "Buntschatten und Fledermäuse" (Hierzu verfasse ich noch einen gesonderten Beitrag). "Es wird Ihnen helfen ihn besser zu verstehen."

Freitag, 22. Dezember 2017

Und weiter im Text

Beim Versuch diesen Post zu strukturieren, habe ich gemerkt, dass in meiner Erinnerung schon einiges verwaschen ist. Ich bekomme die einzelnen Termine nicht mehr klar getrennt, vermische teilweise die Testungen mit den Tagen.
Aber ich weiß noch, was getestet wurde. Bei den nächsten Terminen werde ich mir Notizen machen, um euch einen besseren Einblick zu geben.

Wir haben zu dem jetzigen Zeitpunkt die erste Diagnostikrunde noch nicht ganz abgeschlossen. Vor uns liegen noch ein Termin, um den Entwicklungsstandtest zu beenden, ein Termin um eine körperliche Untersuchung zu machen und ein Termin für das Planungsgespräch.

So, nun aber endlich zum Bericht der bereits erfolgten Termine 😊 
Unser zweiter Termin war noch recht unspektakulär. Wir redeten viel, versuchten eben so gut es ging ein Bild von ihm zu zeichnen. Ab und an versuchte Frau J. in Kontakt mit Clemens zu treten, was natürlich kläglich scheiterte. Er legte sich lieber in das Zelt, dass so schön mit Kissen ausgelegt ist, kuschelte sich rein und nahm sich die Babyborn zur Brust. Zwischendurch ging er mal an den Schrank, um zu schauen, was es so gab, aber eigentlich fand er nur den Schiebemechanismus interessant. In einem anderen Schrank entdeckte er nach einiger Zeit ein Puzzle und da er Puzzle wirklich liebt, beschäftigte er sich natürlich auch lieber damit, als auch nur ein Mal auf seinen Namen zu reagieren. Allerdings konnten wir kurz vor Schluß einen kleinen Erfolg verzeichnen - er schaute kurz zur Pädagogin, als sie ihn mit Namen ansprach.
Am Ende des Termins eröffnete Frau J. , dass sie in der darauffolgenden Woche gerne mal schauen würde, ob er sich testen ließe. Wieder so ein Moment, wo ich kurz an allem zweifelte. Natürlich muss es Referenzrahmen geben. Aber wer sagt mir, dass es nicht einfach nur da rein gepresst wird und das war es dann? Konnte ich sicher sein, dass Frau J. wirklich Clemens als Clemens beurteilt und ihr Gutachten nicht nur auf Grund der Testung entstehen würde?
Außerdem gab sie mir Fragebögen mit, ein Mal für mich und ein Mal für den KiGa. Mir wurde das Herz schwer. Zu den Bögen werde ich einen gesonderten Post verfassen :-)
 Ich merkte schon auf der Heimfahrt, dass wir beide ziemlich gerädert waren. Wie sollte das erst in den kommenden Wochen werden?

In den folgenden Wochen wurde Clemens bei jedem Termin getestet. Es ging um motorische und kognitive Fähigkeiten.
Wir begannen mit den motorischen Fähigkeiten, aber im Laufe einer jeden Stunde hatte ich den Eindruck, dass die Aufgaben abgewechselt wurden. Vermutlich, damit keine Überforderung entsteht.
Natürlich war das mit der Testung nicht so einfach, er hatte so keinen Bock und wollte lieber weiter die Dinge im Raum erforschen.
Aber mit viel Geduld und Überredungskunst konnten wir ihn dazu bringen doch mitzuarbeiten.
Manchmal mussten wir ihm ein Spielzeug abnehmen oder ihn auf den Stuhl setzen. 

Zunächst war ich richtig begeistert, da er die motorischen Aufgaben wirklich gut meisterte. Greifen, Deckel auf-und zu drehen, springen bestritt er hervorragend. Eine Aufgabe erledigte er leider nicht: aus Holzklötzen eine Reihe legen und einen Turm bauen. Hätte ich gleich sagen können, dass er das nicht macht. Er baut nichts mit Holzklötzen. Hat er noch nie getan. Wenn er sie nicht durch eine passende Öffnung wieder in die Kiste sortieren kann, sind sie für ihn nicht von Interesse.
Recht am Anfang des ganzen sollte Clemens ein Bild malen und das tat er sogar.

Die Tests zu den kognitiven Fähigkeiten verliefen meiner Meinung nach nur so lálá. Ein Puzzle , bei dem man verschiedene Formen ineinander setzen musste, löste er ohne Probleme, sogar ohne, dass man es ihm vorher zeigte oder sein Interesse dafür wecken musste.. Ein anderes Puzzle wiederum ging nur so mittelmäßig. Es war eine Grundplatte, die die Form einer Schildkröte hatte. Einmal sollte der Panzer der Schildkröte mit zwei grünen Klötzchen gebildet werden. Er reagierte von Anfang negativ auf das Puzzle, wollte es partout nicht machen. Nach dem dritten Anlauf, hat er die grünen Steine widerwillig platziert. Danach sollte der Panzer aus drei gelben Steinen gebildet werden. Keine Chance. Er fegte die Steine vom Tisch oder drehte sich weg und lief an den Schrank mit den normalen Puzzles.
Dann gab es eine Aufgabe mit Bildkarten. Auf den Karten waren, Nahrungsmittel, Tiere, Personen und Fahrzeuge zu sehen. Er sollte dann die Bilder zu den jeweiligen Gruppen rausnehmen. Es fiel ihm schwer. Er lief immer wieder weg und tat etwas anderes. Als wir ihn dann soweit hatten, dass er einigermaßen still sitzen blieb und sich die Karten auch anschaute, konnte er die meisten Dinge zusammenfügen. Aber er konnte nicht zu allen Bildern die Namen nennen.
Dann gab es eine Aufgabe, bei der es um Farben ging, die konnte er natürlich mit Bravour lösen. Er liebt Farben. Am liebsten ja Fingerfarben.
Bei einem weiteren Termin  sollte er dann Formen und Farben in einem Objekt unterscheiden. Clemens wurden einfarbige und zweifarbige Kugeln gezeigt, sowie große Würfel. Es lagen zwar auch kleine Würfel dabei, aber auf die ging Frau J. nicht extra ein. Nun sollte er ihr aber einen kleinen Würfel geben. Er gab ihr alles in die Hand, außer den kleinen Würfel. Er fasste die kleinen Würfel nicht mal an. Ich weiß nicht, ob er sie nicht sah oder ob er es nicht verstand, ob er das Konzept von dem Würfel auf Grund der Größe nicht übertragen konnte und ob er die Konzepte "groß" und "klein" überhaupt verstand.
Als nächstes sollte er ein Objekt auswählen und Frau J. geben, was "nicht rot" war. Alles, was er offensichtlich rausgefiltert hatte war "rot". Er gab ihr also alles, was rot war.
Des weiteren gab es noch eine Aufgabe, bei der er auf die Tür, das Fenster und mich zeigen sollte. Auch hier kann ich die Sache nicht wirklich einordnen. Er schaute zwar in die Richtungen, aber ob er da wirklich der Aufforderung folgte oder es nur Zufall war, kann ich nicht sagen.
Leider ging es noch weiter bergab. Auch auf die Worte "vorne, hinten, seitlich" reagierte er, als ob  er nur Bahnhof verstehen würde.
Bei allen Terminen war immer Raum für Gesprächssequenzen zwischen uns Erwachsenen, um auch Beobachtungen meinerseits, egal wo ich diese gemacht hatte, zu besprechen.

So viel also zudem, was wir bis jetzt während dieser Diagnostik machen mussten.
Vermutlich habe ich die ein oder andere Aufgabe vergessen, ich gebe dann Bescheid ;-)

Bis bald
Eure Stina

Gedanken zwischendurch

Ihr Lieben,

vielen Dank für eure Zeit, euer Lesen, eure Gedanken, eure Nachrichten.
Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Blog so viel Zuspruch erhält.

Ich habe ihn gestern selbst gelesen, so richtig, in Blogansicht. Und mir fiel auf, dass die Beiträge in sich nicht immer kohärent sind, was die Grammatik angeht 😳
Ich habe mich dazu entschieden, den Blog nicht als stilistisch einwandfreien Vorzeigeaufsatz zu führen, sondern einen wahrhaftigen, ehrlichen, Einblick in meine Gedanken zu geben. Und die sind manchmal etwas verquert :-)
Ich sortiere meine Gedanken vor jedem Beitrag. Und beginne ich dann das Schreiben, kommen plötzlich tausend neue Sachen in meinen Kopf, die ich euch gerne noch mitteilen möchte. Darüber vergesse ich natürlich das ein oder andere wieder.
Gerade in Bezug auf Clemens' Verhaltensweisen werden mir bestimmt immer wieder Dinge einfallen, die ich euch kommunizieren will.
Aber mal ehrlich, wie soll ich euch ein klares Bild zeigen, wenn ich das selbst nicht habe !?
Das klingt im ersten Moment schlimmer, als es tatsächlich ist. Aber gerade jetzt während der Diagnostikrunde, haben wir bemerkt, wie sehr wir einige, doch recht auffällige Dinge, als gegeben hingenommen haben oder gar nicht gemerkt haben, dass es auffällig ist, weil wir uns einfach daran gewöhnt haben, ganz nach dem Motto "Joa, war schon immer so".
Wie betriebsblind wir doch eigentlich als Eltern sind. Wobei es vermutlich nicht das schlechteste ist. Man kann ja nicht ständig (ich kann das zwar sehr gut) mit dem schwarzen Edding umherlaufen und alles genau beäugen und immer vom schlimmsten ausgehen.

Bis bald
Eure Stina

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Anders ist ein dehnbarer Begriff ...

... aber was genau heißt das denn nun in Bezug auf Clemens' Verhalten?

Das wurden wir oft gefragt und gerade in den letzten Tagen öfter.

Offensichtlich ist, dass er schlecht spricht und Probleme im sozialen Bereich hat.
Im Gegensatz zu seinen Altersgenossen, spricht er sehr verwaschen, konstruiert Sätze in 99% der Fälle nicht selbst, sondern wiederholt, was man zu ihm sagen würde. Man nennt dies Echolalie. Er sagt nicht "Ich möchte bitte einen Keks" , sondern er sagt es so, als ob ich ihn fragen würde und dann auch noch mit einem unvollständigen Satzbau "Willste Keks haben".
Er kann all seine Bücher und CD's auswendig, aber wenn man den Text nicht kennt, versteht man oftmals nicht, was er sagt. Es kostet ihn unglaublich viel Kraft ein Wort auszusprechen. Man hört und sieht teilweise wirklich extrem, wie er sich bemüht und kämpft.
Viele Wörter , die er bereits gelernt hat, sind verschwunden, einfach so. Verpufft, verloren in den Weiten seines Kopfchaos.

Die soziale Interaktion machte ihm ja schon immer Probleme. Das ist bis heute so geblieben. Er kann die anderen Kinder zwar mittlerweile etwas besser ertragen, sucht aber keinen Kontakt zu ihnen. Selbst, wenn er mitten im Kreis sitzt, blendet er sie aus, spielt alleine und zufrieden mit sich.
Mit Erwachsenen ist es etwas besser geworden. Manche Erwachsene kann er mittlerweile anschauen. Er versteckt sich oft hinter seinem Arm oder schaut weg, wenn ihn jemand anspricht. Meistens sagt er dann "Mama" und versucht sich hinter mir zu verstecken.

Er kann stundenlang da sitzen und ins vermeintlich Leere blicken, kann immer und immer wieder ein und das selbe Buch lesen, ohne Pause dazwischen. Er hört Musik extrem intensiv , er sitzt press vor den Boxen und hört einfach zu. Nicht nur zehn Minuten, nein, er sitzt teilweise ein halbe Stunde vor dem Lautsprecher ohne sich zu bewegen. Ab und an lächelt er mal, ist ansonsten aber total in sich versunken.
Seine Hocker müssen immer an der selben Stelle vor dem Waschbecken stehen.
Er kann seine Spielsachen zwar im Raum verteilt liegen lassen, aber die Backofentür darf auf gar keinen Fall offen stehen bleiben.

Er läuft stundenlang durch die Natur, träumt vor sich hin, singt, erzählt. Manchmal bleibt er stehen und betrachtet sich etwas. Selten kleine Details am Wegesrand, sondern Dinge in der Luft, in weiter Ferne.

Seine Wut ist ein besonders intensives Kapitel.
Sie kommt, sie bricht aus ihm raus, mit voller Wucht.
Manchmal kann man es absehen, meistens trifft es uns aber völlig unerwartet.
Er wirft Dinge umher, schreit, tritt, haut , beißt, knallt Gegenstände auf Tischplatten oder Kanten, wirft Dinge umher.
Manchmal beruhigt er sich nach einiger Zeit wieder. Manchmal nicht. Manchmal hilft ablenken, manchmal nicht. Und manchmal sitzen wir mit ihm auf dem Pezziball und dürfen auch nach einer Stunde nicht mit dem leichten Wippen aufhören, weil er sonst sofort wieder wütet.

So viel für heute :-)
Eure Stina

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Unser erster Termin beim Kinder- und Jugendpsychiater

Ich rief also in der Praxis an und bekam per E-Mail einen Fragebogen zugeschickt. Diesen sollte ich ausfüllen und wieder zurück senden. Nach zwei weiteren Tagen sollte ich mich melden, um einen Termin zu vereinbaren.

Ich druckte den Fragebogen aus und füllte ihn aus. Es ging hier nicht nur um die allgemeinen Eckdaten, sondern um ein paar kleinere Ansatzpunkte , wieso man in der Praxis vorstellig werden wollte und was man bis dato schon alles getan hatte, ob das Kind schon in die KiTa geht, wie die Geburt verlaufen war und wie es mit der Sauberkeitserziehung aussieht. Zusammen genommen waren es also nicht nur kleine Ansatzpunkte, sondern ergaben durchaus schon ein erstes Bild. Eine grobe Umrandung des Gemäldes.
Einen Tag später ging das ganze zur Post und zwei Tage drauf, rief ich zur Terminvereinbarung in der Praxis an. Wir bekamen zügig einen Termin.

Ende September 2017 schnappte ich also meinen kleinen, großen Jungen und verlud ihn ins Auto. Ich versprach ihm, dass wir eine tolle Reise in die große Stadt machen würden und dass wir bestimmt viel Spaß hätten.
Überzeugt war ich von meinen Worten nicht. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan. Meine Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen. Was würde uns dort erwarten, würde Clemens mitarbeiten, konnte uns jemand helfen? Und nun, da der Tag da war und wir los fuhren, wurden meine Ängste nur noch größer. Sogar Zweifel an dem ganzen Vorhaben taten sich auf. War das wirklich das richtige für uns? Schließlich bin ich jemand, der so gar nichts davon hält, das Kind irgendwo vorzuführen.

In Mainz angekommen, lief es in der Stadt erstaunlich gut mit Clemens. Er war zwar etwas überdreht, verlor sich aber nicht in sich und weinte auch nicht.
Am Gebäude der Praxis angekommen, stießen wir auf eine Hürde, die ich nicht miteinkalkuliert hatte - der Weg zur Praxis ... Wir mussten mit dem Aufzug fahren.
Als Clemens es realisierte, drehte er um und lief weg. Einfach blind in alle Richtungen, Hauptsache weg von dem Aufzug.
Nachdem ich ihn eingefangen hatte und ihn halbwegs fest im Arm hatte, konnte ich den Aufzugknopf drücken und wir konnten auch direkt in einen Fahrstuhl schlüpfen. Glücklicherweise fuhr der Aufzug schnell und wir mussten auch nur bis in den achten Stock. Seine Erleichterung, als wir aus dem Aufzug stiegen, kann ich nicht beschreiben.

Im Wartezimmer warteten wir ein wenig , Clemens aß und trank etwas und taute dann auch etwas auf, ging an den Spieltisch und auch mal an das Fenster.
Eine junge Frau, etwa in meinem Alter kam die Tür rein, nannte unseren Namen. Nun ging es also los.
Ich sammelte unsere sieben Sachen und mein Kind zusammen und los ging es. Frau J. stellte sich mir und Clemens noch einmal vor, was Clemens in leichte Panik versetzte. Leider wurde diese Panik noch etwas verstärkt, als wir durch die Gänge der Praxis gingen, um in das Behandlungszimmer zu gelangen.
Frau J. ist studierte Pädagogin und begutachtet zusammen mit dem Psychiater die Kinder.
Wir unterhielten uns viel. Ich schilderte unser Problem mit seiner Aggressivität und versuchte so gut es ging alles zu berichten, was mir sonderbar erschien. Frau J. fragte einiges, notierte viel und hakte nach. Der Psychiater stieß irgendwann dazu, er wurde kurz auf den Stand der Dinge gebracht und versuchte dann mit Clemens in Kontakt zu treten. Natürlich funktionierte das nicht. Auf Männer reagierte Clemens ja auch schon immer ablehnend.
Wir unterhielten uns weiter und der Arzt beobachtet Clemens ganz genau, machte immer wieder Notizen. Ein besonderes Augenmerk schien darauf zu liegen, was wir schon alles getan hatten, um die Wut von Clemens abzumildern bzw. welche Strategien wir ihm an die Hand gegeben hatten, um seine Wut anderweitig abzuleiten. Nachdem ich erklärte hatte, was wir schon alles versucht hatten und dass nichts gefruchtet hat, gab uns der Arzt zum Abschluss ein paar gute Gedanken mit auf den Weg: "Zum einen muss Ihnen egal sein, was die Anderen sagen. Dann müssen die Nachbarn halt damit leben, dass er schreit. Und zum anderen müssen Sie verstehen, dass er nicht einfach nur wütend ist. Er ist die Wut."

Wir vereinbarten noch einige Folgetermine, da klar war, dass Clemens erst ein bisschen Zeit zum warm werden brauchen würde, bevor man überhaupt eine Chance hatte, dass er bei den Testungen mitarbeiten würde. Der Plan sah vor, dass wir uns also noch ein paar Mal sehen würden, bevor man aktiv anfangen würde zu testen. Im Laufe der Diagnostik sollten wir Beurteilungsbögen erhalten, die wir Eltern und die Erzieherinnen im KiGa ausfüllen sollten. Desweiteten machten wir einen weiteren Termin für ein Planungsgespräch aus, dass am Ende des Diagnostikreihe stattfinden sollte.
Das war also unser erster Termin, Clemens lümmelte auf sämtlichen Kissen rum , ich redete mir den Mund fusselig und ansonsten war es alles andere als spannend :-)

Dienstag, 19. Dezember 2017

Eine Reise in die Vergangenheit Teil V

Zweiter Geburtstag bis Zweieinhalb Jahre

Nach weiteren vier Wochen ignorierte er seine Schwester völlig. Interessanterweiße laß er aber nun das Baby-Buch weiter. Offensichtlich war es jetzt Zeit sich mit der aktuellen Baustelle zu befassen.
Es vergingen weitere vier Wochen und er interessierte sich wieder für sie. Er streichelte sie und gab ihr den Schnuller. Allerdings achtete er penibel darauf, dass wir schauten, dass er sie streichelte , er kommentierte was er tat. Aber ohne jegliche Emotion.
Langsam kamen ein paar verständliche Wörter aus ihm raus.
Ab April ging er in den Kindergarten. Es lief erstaunlich gut. Auf Ansprachen der Erziehrinnen reagierte er zwar zunächst nicht. Ignorierte sogar die Erzieherin , die für ihn eingeteilt war, setzte sich einer anderen aber einfach auf den Schoß. Vier Wochen ging ich mit. Ich bemerkte schnell, dass er es liebte für sich zu sein und er kein Interesse an den anderen Kindern hatte. Er wanderte oft ziellos umher, nahm sich mal ein Spielzeug, aber er war wie immer anders als die anderen Kinder. Er brauchte recht lange , bis er begriff, dass man nachdem das Windspiel geläutet hat, erst noch aufräumen muss und danach erst zum Frühstück geht. Er kam immer zu mir und wollte , dass ich mit ihm gehe.
Ich hatte während der Eingewöhnung leider nicht meine Augen und Ohren komplett auf ihm. Seine kleine Schwester hatte gerade die Rotaviren hinter sich, die mit einem sehr traumatisierenden Krankenhausaufenthalt einhergegangen waren und ich dachte , naja läuft hier ja, und die Kleine braucht mich gerade wirklich dringender.
Er ging gerne in den Kindergarten, freute sich, begann mehr zu sprechen. Seine Zwänge lösten sich etwas. Er ging auf den ein oder anderen Erwachsenen sogar offener zu. Auch seine Sprache "verbesserte" sich etwas. Man konnte mittlerweile mehr verstehen und er konnte sagen, wenn er ein Bedürfnis hatte. Konnte er das wirklich? JEIN. Er echollalierte. Tut er bis heute.
Auch seine Aggressionen verschwanden nicht. Wie aus dem nichts hatte er urplötzlich den Kanal voll.
Wieder fragte ich mich , ob er Autismus hat. Ich hatte mal in den ein oder anderen Artikel rein gelesen. Aber hatte es immer wieder verworfen.
Unsere Nachbarin gab uns schließlich den Tipp , doch mal bei einen Kinder-und Jugendpsychiater zu gehen. Sie gab uns eine Adresse in Mainz, wo Psychiater und Pädagogen in einem ganzheitlichen Konzept zusammenarbeiten.
Als Clemens zweieinhalb war, beschloss ich, diesen Tipp anzunehmen. Sein Andersartigkeit blieb mir nicht verborgen, auch den anderen Eltern im KiGa nicht. Die Erziehrinnen stimmten mit mir über ein. Ja, er hatte Fortschritte gemacht. Aber nun stagnierte es. Und seine sozialen Fähigkeiten gegenüber Gleichaltrigen hatten sich überhaupt nicht verändert.
Es ging mir nicht mehr nur um seine Aggressionen, da war mehr, ich wusste es einfach.

Eine Reise in die Vergangenheit Teil IV

Erster bis zweiter Geburtstag

Clemens erster Geburtstag - da war er. Ein Jahr war das Kind alt.
Brachte uns so viel Freude und Liebe .
Der Tag war sehr emotional für mich. Wo ging dieses Jahr nur so schnell hin , ich hatte ihm doch überhaupt nicht erlaubt so schnell groß zu werden.
Natürlich ließen wir auch die Geburt Revue passieren. Nachdem ich morgens um zehn schon eine Flasche Wein öffnete, waren die Sorgen vergessen :-P

Wenn ich mir heute das Video seines Geburtstages anschaue, sehe ich wieder diese kleinen, feinen Unterschiede zu den anderen Kindern. Er schaute seine Gäste nicht an und auch die Geschenke waren uninteressant. Entweder war er mit Papier beschäftigt oder war bei Papa, Oma oder mir. Alles andere wurde keines Blickes gewürdigt. Als es anfing ihm zu viel zu werden, brachte ich ihn nach oben. Diese Strategie hatte sich bereits im Alltag bewehrt. Wurde er unten unruhig , brachte ich ihn hoch. Da wir eine Galerie im Wohnraum haben, ging das natürlich super. Man hatte ihn im Auge ohne direkt dabei sein zu müssen.

Der erste Geburtstag war vorüber, wir hingen die Eingewöhnung in der Krippe an den Nagel und lebten unser Leben weiter.
Clemens entwickelte sich unserer Meinung nach gut. Er sprach zwar in seiner eigenen Sprache, gab uns keine Antwort und spielte nicht mit den Kindern auf dem Spielplatz, aber es machte uns nicht wirklich Sorgen. Mit knapp eineinhalb fing er an , den Spielplatz zu meiden. Er wollte einfach nicht hingehen. Zumindest nicht am Nachmittag, wenn die anderen Kinder da waren. Morgens war es oftmals kein Problem. Außerdem war er sehr fest gefahren in seiner Routine. Die kleinste Abweichung endete in Schreierei und Schläge für uns. Ja, richtig gelesen. FÜR UNS. So körperlich wie er war, wenn er uns seine Liebe spüren ließ, so körperlich war er auch, wenn er frustriert war.
Er war sogar so verbohrt, dass er erst spazieren gehen MUSSTE , bevor wir mit ihm auf den Spielplatz gehen konnten.
Ich beobachtet die anderen Kinder in seinem Alter intensiv. Es schien, als ob sie auch bei guter Zeit mal ausflippen würden, Autonomiephase eben. Und damit tat ich auch das Verhalten unseres Sohnes ab. Zumindest meistens. Ab und an suchte ich dann im stillen Kämmerlein mal das Gespräch zu unseren engsten Vertrauten. Aber jeder tat die Sache mit dem Autismus ab, er hätte nichts, bräuchte vielleicht einfach nur ein wenig mehr Zeit und außerdem hätte er den Dickkopf ja nun nicht gestohlen.

Seine Wutanfälle wurden immer schlimmer. Die Nachbarn sprachen uns an, ob wir ihn schlagen, Fenster wurden zu gemacht, sobald wir uns auf der Straße befanden. Eine Nachbarin sprach uns auch an, wie bösartig er doch sei.
Ungebetene Erziehungstipps waren an der Tagesordnung. Beurteilung und Verurteilungen eben so.
Und immer die Frage: Haben wir etwas falsch gemacht? Warum ist er so extrem?

Mittlerweile wussten wir, dass ich wieder schwanger war und wir freuten uns sehr, hatten wir doch kurz vor Clemens erstem Geburtstag wieder eine Fehlgeburt erleben müssen.
Wir versuchten es ihm so gut es ging zu erklären, kauften Bücher, bezogen ihn mit ein. Er liebte ein Buch ganz besonders. Erstaunlicherweise laß er es aber nie ganz. Wir betrachteten uns immer nur den Teil mit der Schwangerschaft. Alles andere überblätterte er oder legte das Buch sogar weg.
Ich verbrachte meine Zeit mit ihm so intensiv , wie möglich. Er liebte es zu lesen, wirklich richtig zu lesen. Er konnte stundenlang da sitzen und mir beim Vorlesen zu hören. Ich habe ein Buch 16 Mal hintereinander lesen müssen. Er betrieb die Sache mit seinen Bücher wirklich exzessiv. Außerdem liebte er es, wenn ich ihm sang. Aber das war schon von Geburt an so. Musik konnte er nicht alles ertragen, aber wenn er ein Stück für gut befunden hatte, lief es immer und immer wieder. Seine Sprachentwicklung ging immer noch nicht voran. Er sprach den ganzen Tag, allerdings in seiner eigenen Sprache.
Mitte Oktober ging ich mit ihm spazieren und ein Bus fuhr an uns vorbei. Direkt dahinter ein Auto und er sagte "Auto". Endlich, dachte ich. Es war für lange Zeit das erste und letzte Wort, was er sagte.
Sein Verhalten änderte sich nicht großartig. Nach wie vor war er scheinbar aus dem Nichts mit seinen Nerven am Ende, ohne Vorankündigung fing er an zu toben. Er wurde zunehmend unruhiger, konnte nicht mal während dem Lesen still sitzen. Egal , ob ich sang oder laß, er brabbelte sich eins zurecht, hüpfte umher und stand irgendwie unter Strom.

Während der gesamten Schwangerschaft musste er nicht zurück stecken. Ich war fit und konnte mit ihm toben, springen, singen, spazieren, wie vorher. Nachmittags übernahm mein Mann, damit ich etwas ausruhen konnte.

Im Dezember 2016 wurden wir mit Clemens beim HNO vorstellig. Seine Sprachentwicklung machte mir Sorgen. Vor allem auf Grund des massiven Inputs seiner Bücher und Lieder.
Im Januar 2017 brachten wir in sogar zum Pädaudiologen, da der HNO eine OP empfahl, ich aber noch eine zweite Meinung hören wollte. Der Pädaudiologe stimmte seinem Kollegen zu, sagte aber auch, dass er ihn auffällig findet und wir uns mal überlegen sollten, ob wir nicht auch einmal in der Komm-Klinik der Mainzer Uniklinik vorstellig werden wollten. Auffällig. Ja klar tobte er darum und schrie und wehrte sich. Da wollte ihm schließlich jemand in Rachen, Nase und Ohren schauen.
Fünf Wochen vor seinem zweiten Geburtstag kam seine Schwester in unsere Mitte. Als wir sie nach Hause brachten, war er höchst interessiert, wenn es ans Wickeln ging. Wir hatten extra im Wohnzimmer eine kleine Wickelkommode vom Möbelschweden aufgestellt, damit er so nah es irgendwie ging dabei sein konnte und ich nicht den Raum verlassen musste.
Nach ca. vier Wochen ging es los, dass er sie nicht mehr so spannend fand, sondern eher als nervig erachtete. Er zerrte an ihr rum, haute ihr auf den Bauch und fand sie furchtbar.

Sein zweiter Geburtstag klopfte an die Tür. In der Woche davor wurde er an den Nasenpolypen und den Ohren operiert. Die Nasenpolypen hatten es nötig, die Ohren nicht wirklich.

Montag, 18. Dezember 2017

Eine Reise in die Vergangenheit Teil III

Drei Monate bis ein Jahr

Clemens war sehr mobil, lachte viel mit mir , kuschelte gerne, schaute sich alles an. Aber eben nur mit mir oder seinem Papa.
Andere Menschen, fremde Umgebungen, alles machte ihm Angst. Mittlerweile war ich dazu übergegangen ihn nur noch zu tragen, da der Kinderwagen einfach nur ein rotes Tuch für ihn war.
Nahm ich ihn irgendwo mithin, schrie er, vergrub sich im Tuch.
Er konnte nie abschalten. Es gehörte zu unserem Alltag, dass ich ihm eine Tuchbahn oder das Sonnensegel der Trage über den Kopf ziehen , ihm singen und rhythmisch auf den Po klopfen musste, damit er sich beruhigen konnte. Irgendwann bin ich dazu übergegangen mich mit ihm im abgedunkelten Zimmer auf den Pezziball zu setzen.
Clemens liebte genau eine Spielsache auf der Welt und das war sein Spielbogen. Alle anderen Spielsachen wurden nur kurz beäugt und dann ignoriert. Aber sich bewegen, vorwärts kommen, krabbeln, laufen, das wollte er. Unbedingt.
Mit fünf Monaten konnte er krabbeln, er liebte es. Aber schaute immer noch wenig nach Spielzeug. Auch wenn ich mit ihm spielte, hatte er nie wirklich Interesse an den Dingen. Ball rollen, alle anderen Kinder liebten es, meines nicht. Er schaute den Ball kurz an und wartete nicht mal, bis der Ball zu ihm gerollt war. Er krabbelte vorher schon weg. Irgendwann in diesem Zeitraum fiel mir das erste Mal auf, dass er anders war, als die anderen Kinder. Das er anders guckt, als andere Kinder.
In Krabbelgruppen fühlte er sich extrem unwohl, weinte viel, saß rittlings auf meinem Schoß und guckte höchstens verstollen mal umher. Andere Kinder freuten sich, spielten mit den Spielsachen, schauten sich die anderen Kinder an. Alle Kinder - bis auf meines.
Mittlerweile waren wir umgezogen, in unser Haus, Clemens war sechs Monate alt. Immer noch spielte er mit wenig Spielzeug. Aber wenn er gerade nicht von mir rumgetragen werden wollte oder mit Essen beschäftigt war, konnte er sich unglaublich lange alleine beschäftigen. Er verbrachte mehrmals am Tag eine dreiviertel Stunde nur mit sich. Wir schafften es sogar ein Mal am Tag eine halbe Stunde im Kinderwagen spazieren zu gehen. Mittlerweile war der Sportwagenaufsatz drauf, da sah er was. Aber darin hinlegen durfte ich ihn nie. Er schrie direkt los, wehrte sich.
Und immer noch hasste er fremde Stimmen und Geräusche. Selbst in Umgebungen, die er kannte, konnte er nie lange ohne Körperkontakt zu mir sein.
Mit ca. sieben Monaten dachte ich wieder, dass er irgendwie anders ist. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Welt anschaute und sie doch nicht anschaute. Es war ganz seltsam.
Die Wochen vergingen, er wurde mobiler und mobiler, wurde aber nur mit einzelnen Menschen warm. Blieb in den Krabbelgruppen weiterhin rittlings auf meinem Schoß und interessierte sich nach wie vor nicht für jedes Spielzeug , sondern nur für eine Handvoll.
Kurz vor seinem ersten Geburtstag wollten wir ihn eine Krippe eingewöhnen. Wir waren insgesamt acht Wochen dort, dann stoppten wir das ganze. Es klappte einfach nicht. Er reagierte nur auf die Erzieherinnen, wenn sie ihm Essen anboten. Er spielte auch nach acht Wochen nicht wirklich und hatte keinen Draht zu den anderen Kindern, er sah sie nicht an, schaute ihnen nicht zu und reagiert auch auf sonst nichts, was irgendwie mit den Kindern zu tun hatte. Er saß entweder auf meinem Schoß oder hatte ein Holztier in der Hand. Wenn er sich mal beschäftigte räumte er den Korb mit den Holztieren aus oder kletterte auf Kisten und über Stufen.
Wie oft ich während diesem Versuch der Eingewöhnung dachte, dass er nicht wie andere Kinder ist, kann ich gar nicht zählen.
Mir fiel auch auf, dass er im Gegensatz zu den anderen Kindern spät auf seinen Namen reagierte und er viele Dinge einfach nicht tat, z.B. winken, Arme hoch heben, wenn man ihn fragte wie groß er sei.

Das bemerkenswerte war, dass er mit mir und ab ca . fünf Monaten auch mit seinem Papa, extrem schmußig war. Er wollte geknuddelt und gekitzelt sein, lachte viel mit uns, liebte uns, so wie wir ihn liebten. Ohne wenn und aber und von ganzem Herzen. Dieser Gegensatz von extremer Liebe zu unbändiger Überforderung und Ablehnung fiel immer mehr auf.
Das ein ums andere Mal habe ich , meist recht salopp , zu meinem Mann gesagt "Er hat bestimmt Autismus". Wie richtig ich doch mit dieser Aussage lag, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Eine Reise in die Vergangneheit Teil II

Wochenbett und die Zeit bis zum Alter von drei Monaten

In den Tagen nach der Geburt war Clemens , bis auf einen Abend, ganz ruhig und ausgeglichen. Lag vielleicht auch an der Gelbsucht.
Er fiel allerdings dadurch auf, dass er nur schlief, wenn er in meinen Armen lag. Legte ich ihn ab, gingen sofort die Augen auf und er suchte. Er schaute total wach.
Wir bleiben recht lange im Krankenhaus. Familienzimmer und all inclusive sind schon ne feine Sache :-)
Wir schauten ihn immer zu an. Wir liebten ihn so abgöttisch. Bei jedem Blick wusste ich, dass er besonders war. Aber das denkt wohl jede Mutter über ihr Kind :-)

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als wir ihn nach Hause brachten. Wir saßen ewig im Auto auf dem Parkplatz vor unserer Wohnung. Jetzt wurde es wahr. Dieses abstrakte Konzept Familie wurde real. Die Verantwortung wurde plötzlich real. Es traf uns mit voller Wucht. Also blieben wir ewig im Auto, sammelten uns, denn das Betreten der Wohnung würde alles verändern.
Wir waren dann aber irgendwann doch noch mutig ;-)
So startete also unser Leben als Familie. Es war schön zu Hause zu sein mit einem kleinen Menschen zusammen das Leben zu verbringen.
Uns fiel schnell auf, dass Clemens extrem mit seiner Umwelt zu kämpfen hatte. Er schrie bei fremden und lauten Geräuschen, schrie ,wenn man ihn in den Kinderwagen legen wollte, schrie im Kinderwagen und war eigentlich nur bei Mama zufrieden. Oder im Tuch bzw in der Trage. Dann ging es auch mit Papa. Am allermeisten schrie er aber, wenn er die Stimme der Hebamme hörte. Sie kam jeden Tag. Machte sie bei all ihren Wöchnerinnen so. Wir konnten keinen Alltag entwickeln, konnten nie richtig zusammenfinden, weil sie ständig da war. Und sie redete mir meinen Mutterinstinkt aus. Es war schlimm. Diese Bevormundung, diese Übergriffigkeit. Sie vermittelte mir das Gefühl eine schlechte Mutter zu sein.
Bis wir nach einigen Wochen endlich unseren Mut wieder fanden und sie gebeten haben, nicht mehr zu kommen.

Clemens war aber auch danach nicht viel anders. Alles was laut war, was ihm fremd an Geräuschen war, fremde Stimmen, helles Licht, Autositz, Kinderwagen, er hasste alles. Er hatte immer eine kurze Phase des Unruhigseins und schrie danach bitterlich. Tuch und Trage waren unsere besten Freunde.
Jeder Entwicklungssprung brachte ihn an seine Grenzen. Man sah, wie er sich abmühte mit der Welt klar zu kommen. Er schlief schlecht, wenn dann nur auf oder an mir. Ablegen war nicht drin. Raus gingen wir nur zum Spazieren, oder um  mal schnell an der Baustelle vorbei zu schauen, alles in allem maximal eine halbe Stunde.

Eine Reise in die Vergangenheit Teil I

Schwangerschaft und Geburt

Es war ein angenehmer Frühsommertag, ein Samstag um genau zu sein. Ich hatte seit ein paar Tagen ein Ziehen im Unterleib und irgendwie war mir übel. Eigentlich wollten wir das mit dem Testen zusammen durchziehen, aber es endete darin, dass ich alleine im Bad war und mein Mann lieber auf der Couch wartete. Wir hatten die Hosen gestrichen voll. Wünschten wir uns doch sehnlichst ein Kind, hatten aber Angst vor einer erneuten Fehlgeburt.
Der Test war kaum gemacht, war das Ergebnis auch schon klar - wir sind wieder schwanger!
Unbändige Freude und unbändige Angst zugleich.

Es dauerte nicht lange, da gesellte sich die Übelkeit dazu. Und nicht nur die... Ich hatte so schlimm mit Hypernemesis zu kämpfen, dass ich ins Krankenhaus musste. Selbst nach der Entlassung musste ich regelmäßig Vomex einnehmen. Ich konnte ja schließlich nicht die letzten Züge des Sommersemesters verpassen. Ich hasste Vomex und verabscheue es bis heute. Mir wurde immer total schwindlig und ich war mehr als benommen, musste direkt nach der Einnahme erst mal zwei Stunden schlafen, nur um den Rest des Tages, wie benebelt zu sein.
Mit fortschreitender Schwangerschaft konnte ich immer öfter auf Vomex verzichten und brauchte es im Wintersemester gar nicht mehr, um an die Uni zu fahren.
Eigentlich war der Verlauf meiner Schwangerschaft ziemlich beschwerdefrei. Uni und Hausbau bereiteten mir ab und an etwas Stress, aber ich konnte mich trotzdem genug ausruhen. Eine der Modulprüfungen lag mir etwas schwer im Magen, aber other than that war alles tutti.
Clemens war ein sehr ausgeglichenes Baby, turnte gerne, schlief aber auch viel. Allerdings wollte er nie in einer Position liegen bleiben, er drehte sich gerne von oben nach unten und umgekehrt. Manchmal lag er sogar quer.
So plätscherte die Schwangerschaft vor sich hin, ich ging fleißig zur Uni, wir bereiteten das Kiesbett für die Bodenplatte des Hauses vor.
Gut vier Wochen vor ET habe ich die Modulprüfung abgemeldet. Auf Anraten der Hebamme. Sie glaubte ,dass es mir doch mehr Stress machte, als gedacht und sich das Kind deshalb nicht in die richtige Position drehen würde. Nun ja, die Prüfung war abgemeldet und siehe da, unser kleiner Kumpel legte sich schön brav hin und blieb auch liegen.

Am 24.02.2015 wurde ich morgens um vier mit Wehen wach. Sie kamen alle sieben Minuten, waren aber gut auszuhalten. Ich dachte noch "Mensch was ein Glück hab ich die Modulprüfung abgemeldet, die hätte ich heute nicht schreiben können."
Ich vertrieb mir den Tag damit, Fenster zu putzen und die Straße an der Baustelle zu kehren. Hatte man mir doch gesagt, dass das die Wehen voran treiben würde und ich wollte doch endlich mein Baby im Arm halten. Aber alles was ich bekam waren Wehen im fünf-minütigen Abstand. Immer noch gut auszuhalten. So schlug ich mir also den Rest des Tages um die Ohren.
Um zwanzig Uhr sind wir mal ins Krankenhaus gedüst. Just in case. Schöne Wehen, aber nix gescheites. Wir also wieder nach Hause. Ich war die ganze Nacht wach , weil ich auf Grund der Wehen nicht schlafen konnte.
Mittwochsmorgens um sechs wieder ins Krankenhaus, ich war schon leicht angenervt. Naja, wir wurden wieder Heim geschickt. Mittags hatte ich dann einen Kontrolltermin bei meiner Hebamme, da wir nun den ET erreicht hatten. Auch sie sagte, dass es noch nichts Gescheites ist und schickte uns Heim. Nicht ohne eine verbale Watsche, da wir schon zwei Mal im Krankenhaus waren, sie aber wollte, dass wir zu ihr kommen.
Mittwochsabends stieg ich dann nochmal in die Wanne, die Wehen wurden endlich stärker. Aber ich vertraute meinem eigenen Körpergefühl nicht mehr. Und bevor wir umsonst wieder im Krankenhaus aufgeschlagen wären , entschieden wir uns dazu, zur Hebamme zu fahren.
Dort war der Befund endlich so, dass man von Geburt sprechen konnte. Aber es ging nur schleppend voran. Vermutlich auch deswegen, weil ich nicht mit ihr endbinden wollte. Geburtshaus ist eine tolle Sache. Aber ich kam mit ihrer Art schon während der Schwangerschaft nicht klar. Naja, sie wollte wohl aber im Geburtshaus entbinden. Setzte alles daran.
Aber der Plan ging nicht auf. Gegen fünf Uhr morgens am 26.02.2015 wurden meine Wehen immer schwächer, ich immer müder und es drohte ein Geburtsstillstand. Gegen acht brachen wir dann endlich ins Krankenhaus auf.
Dort angekommen wurden alle irgendwie hektisch. CTG, Zugang, Wehentropf, Traubenzucker ,Wasser, alles parallel. Meine Hebamme war mit ihrem eigenen Auto gefahren und traf nach uns ein.
Presswehen kamen und mussten veratmet werden. Dann endlich durfte ich schieben.
Irgendwann ,ich weiß nicht mehr genau wann, bekam ich ein ungutes Gefühl, schaute auf das CTG und sah, was ich vermutete , unserem Baby ging es nicht gut. Ich wurde mit dem Rücken zum CTG gesetzt und konnte sehen, wie die Hebamme anfing, sich auf die Geburt vorzubereiten. Ich kannte die Instrumente von meinem Praktikum im Kreißsaal noch recht gut.
Bei jeder Presswehe versuchte ich ein Ohr auf das CTG zu haben, und bei jeder Presswehe hörte ich das Herz meines Sohnes nicht mehr.
Die Hebamme entschied sich für eine EPI und zack war er da. Am 26.02.2015, blau, Nabelschnur um den Hals, schrie nicht. Nur seine Äuglein gingen auf und zu, der Mund bewegte sich, aber es kam nichts. Er wurde direkt abgenabelt und zum Versorgungsplatz gebracht. Man stülpte ihm eine Maske über und massierte seinen kleinen Brustkorb, hörte auf zu massieren, redete ihm zu, massierte wieder. Gefühlt endlos.
Wie sich später herausstellte ging dieses Spiel 15 Minuten so. Dann hatte er sich gefangen und durfte zu mir. Und er schrie auf einmal. Und wollte sich nicht beruhigen, er schrie alles raus.

Warum eigentlich ein Blog?

Ich habe mich schon seit längerem mit dem Autismusspektrum beschäftigt; dazu mehr in einem der nächsten Beiträge.
Man findet viele, viele Infoseiten von Zentren, Kliniken, Praxen, Foren, aber Blogs findet man so gut, wie gar keine. Auf Instagram gibt es ein paar Accounts.
Ansonsten sind Familienblogs mit einem autistischen Kind irgendwie rar gesät. Schade eigentlich. Denn genau danach war ich doch auf der Suche. Nach Familien, die das gleiche erleben. Nach jemandem , der versteht, was wir erleben. Nach jemandem, der unsere Sorgen und Ängste teilt. Nach jemandem, der weder unser Kind, noch uns verurteilt.

Die Entscheidung einen Blog zu schreiben ist aber weitaus mehr, als eine Teilhabe an unserem Leben.
Es ist eine Art Lobbyarbeit für Menschen mit einer Störung im Autismusspektrum. Es gibt so viele Vorurteile, so viel Pseudo-Wissen, so viele Gerüchte. Aber ein wirkliches Wissen haben die wenigsten. Und selbst diejenigen, die über Wissen verfügen, kennen nur die eine Seite. Sie können Sympthome benennen, aber niemand gibt einen Einblick in das Innere dieser Menschen.
Und für uns Eltern ist es Therapie. Wir können unser Erlebtes verarbeiten, reflektieren, Gedanken sortieren und eventuell zu neuen Pfaden kommen.
Es ist ein Ventil für uns.

Eure Stina

Dann starten wir mal

Hallo liebe Leserinnen und Leser, Neugierige und Betroffene ,

willkommen auf unserem kleinen Familienblog.
Hier werden wir euch von nun an auf unserer Reise mitnehmen. Es wird keine kurze Reise sein, sondern eine Lebenslange. Es wird eine spannende Reise mit vielen Höhen und Tiefen werden. Es wird eine verrückte Reise werden. Aber vor allem wird es eine Reise mit viel Liebe werden.
Wir nehmen euch mit auf unserer Reise mit unserem autistischen Sohn.

Ich werde euch zunächst ein wenig in die Vergangenheit schicken, damit ihr uns und unser Familienleben, vor allem aber unseren Sohn besser kennenlernt. Danach geht ihr mit uns im Hier und Jetzt auf die Reise unseres Lebens.
Ihr werdet unterschiedliche Texte finden, mal von meinem Mann, mal von mir, vielleicht auch mal von einem engen Vertrauten.
Viel Spaß beim Lesen, Stöbern und Teilhaben


Eure Stina