Ich rief also in der Praxis an und bekam per E-Mail einen Fragebogen zugeschickt. Diesen sollte ich ausfüllen und wieder zurück senden. Nach zwei weiteren Tagen sollte ich mich melden, um einen Termin zu vereinbaren.
Ich druckte den Fragebogen aus und füllte ihn aus. Es ging hier nicht nur um die allgemeinen Eckdaten, sondern um ein paar kleinere Ansatzpunkte , wieso man in der Praxis vorstellig werden wollte und was man bis dato schon alles getan hatte, ob das Kind schon in die KiTa geht, wie die Geburt verlaufen war und wie es mit der Sauberkeitserziehung aussieht. Zusammen genommen waren es also nicht nur kleine Ansatzpunkte, sondern ergaben durchaus schon ein erstes Bild. Eine grobe Umrandung des Gemäldes.
Einen Tag später ging das ganze zur Post und zwei Tage drauf, rief ich zur Terminvereinbarung in der Praxis an. Wir bekamen zügig einen Termin.
Ende September 2017 schnappte ich also meinen kleinen, großen Jungen und verlud ihn ins Auto. Ich versprach ihm, dass wir eine tolle Reise in die große Stadt machen würden und dass wir bestimmt viel Spaß hätten.
Überzeugt war ich von meinen Worten nicht. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan. Meine Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen. Was würde uns dort erwarten, würde Clemens mitarbeiten, konnte uns jemand helfen? Und nun, da der Tag da war und wir los fuhren, wurden meine Ängste nur noch größer. Sogar Zweifel an dem ganzen Vorhaben taten sich auf. War das wirklich das richtige für uns? Schließlich bin ich jemand, der so gar nichts davon hält, das Kind irgendwo vorzuführen.
In Mainz angekommen, lief es in der Stadt erstaunlich gut mit Clemens. Er war zwar etwas überdreht, verlor sich aber nicht in sich und weinte auch nicht.
Am Gebäude der Praxis angekommen, stießen wir auf eine Hürde, die ich nicht miteinkalkuliert hatte - der Weg zur Praxis ... Wir mussten mit dem Aufzug fahren.
Als Clemens es realisierte, drehte er um und lief weg. Einfach blind in alle Richtungen, Hauptsache weg von dem Aufzug.
Nachdem ich ihn eingefangen hatte und ihn halbwegs fest im Arm hatte, konnte ich den Aufzugknopf drücken und wir konnten auch direkt in einen Fahrstuhl schlüpfen. Glücklicherweise fuhr der Aufzug schnell und wir mussten auch nur bis in den achten Stock. Seine Erleichterung, als wir aus dem Aufzug stiegen, kann ich nicht beschreiben.
Im Wartezimmer warteten wir ein wenig , Clemens aß und trank etwas und taute dann auch etwas auf, ging an den Spieltisch und auch mal an das Fenster.
Eine junge Frau, etwa in meinem Alter kam die Tür rein, nannte unseren Namen. Nun ging es also los.
Ich sammelte unsere sieben Sachen und mein Kind zusammen und los ging es. Frau J. stellte sich mir und Clemens noch einmal vor, was Clemens in leichte Panik versetzte. Leider wurde diese Panik noch etwas verstärkt, als wir durch die Gänge der Praxis gingen, um in das Behandlungszimmer zu gelangen.
Frau J. ist studierte Pädagogin und begutachtet zusammen mit dem Psychiater die Kinder.
Wir unterhielten uns viel. Ich schilderte unser Problem mit seiner Aggressivität und versuchte so gut es ging alles zu berichten, was mir sonderbar erschien. Frau J. fragte einiges, notierte viel und hakte nach. Der Psychiater stieß irgendwann dazu, er wurde kurz auf den Stand der Dinge gebracht und versuchte dann mit Clemens in Kontakt zu treten. Natürlich funktionierte das nicht. Auf Männer reagierte Clemens ja auch schon immer ablehnend.
Wir unterhielten uns weiter und der Arzt beobachtet Clemens ganz genau, machte immer wieder Notizen. Ein besonderes Augenmerk schien darauf zu liegen, was wir schon alles getan hatten, um die Wut von Clemens abzumildern bzw. welche Strategien wir ihm an die Hand gegeben hatten, um seine Wut anderweitig abzuleiten. Nachdem ich erklärte hatte, was wir schon alles versucht hatten und dass nichts gefruchtet hat, gab uns der Arzt zum Abschluss ein paar gute Gedanken mit auf den Weg: "Zum einen muss Ihnen egal sein, was die Anderen sagen. Dann müssen die Nachbarn halt damit leben, dass er schreit. Und zum anderen müssen Sie verstehen, dass er nicht einfach nur wütend ist. Er ist die Wut."
Wir vereinbarten noch einige Folgetermine, da klar war, dass Clemens erst ein bisschen Zeit zum warm werden brauchen würde, bevor man überhaupt eine Chance hatte, dass er bei den Testungen mitarbeiten würde. Der Plan sah vor, dass wir uns also noch ein paar Mal sehen würden, bevor man aktiv anfangen würde zu testen. Im Laufe der Diagnostik sollten wir Beurteilungsbögen erhalten, die wir Eltern und die Erzieherinnen im KiGa ausfüllen sollten. Desweiteten machten wir einen weiteren Termin für ein Planungsgespräch aus, dass am Ende des Diagnostikreihe stattfinden sollte.
Das war also unser erster Termin, Clemens lümmelte auf sämtlichen Kissen rum , ich redete mir den Mund fusselig und ansonsten war es alles andere als spannend :-)
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