Seit wir Clemens' Autismusspektrumstörung öffentlich gemacht haben, begegnet uns diese Frage immer mal wieder.
Eine gute Frage. Zumal sie uns fast schon dazu zwingt, uns nicht nur mit dem Autismusspektrum allgemein zu befassen und mit den "Folgen" für unseren Sohn, sondern uns auch bewusst zu werden, wie wir dazu stehen, damit umgehen und was es mit uns macht.
Wie ist es für uns also?
In erster Linie ist es gerade verwirrend. Der Input ist enorm, die Gedanken und Sorgen schießen in alle Richtungen. Von Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt - alles ist dabei.
Wir sehen so vieles klarer, so vieles macht jetzt einfach Sinn. Das macht natürlich einige Situationen im Alltag leichter. Man explodiert nicht mehr so oft, weil man einfach mehr Verständnis aufbringen kann. Bei vielen Dingen versuchen wir nun, selbst den Zauber zu sehen, den Clemens in den Dingen erkennt. Uns öffnet sich wirklich eine neue Welt. Sie scheint spannender, bunter, abenteuerlicher.
Aber dann gibt es noch die Kehrseite.
Vieles ist auch schwieriger geworden.
Der riesen Berg an Untersuchungen, Formularen, Anträgen, der uns nun erwartet. Ich sehe ihn und weiß nicht, was mich da genau erwartet, wo sind wir am besten aufgehoben für weitere Untersuchungen, wo setzte ich am besten an, was hat die höchste Priorität, welcher Antrag kann auch noch warten?
Am schlimmsten sind die Zukunftsängste, die wir nun haben. Natürlich macht man sich als Eltern immer Gedanken und will das Beste für sein Kind. Aber als Eltern von einem "normalen" Kind macht man sich Gedanken, ob die Kinder mal studieren wollen, oder ob sie die Finger von Drogen lassen. Als Eltern von einem Kind mit einem besonderen Extra macht man sich ganz andere Gedanken. Wird das Kind weiterhin im Regelbetrieb eines Kindergartens oder einer Schule teilhaben können, oder muss man doch umsatteln, wie wird seine berufliche Zukunft dann aussehen? Kann er sein Leben irgendwann einmal (weitestgehend) alleine bestreiten, oder wird er immer auf Hilfe angewiesen sein? Und wenn er lebenslange Hilfe braucht, wird er diese Hilfe in der Familie finden, oder muss er womöglich in eine Einrichtung? Wie wird die Umwelt mit ihm umgehen? Wird es ihm erspart bleiben, dass andere Kinder ihn als dankbares Opfer sehen und ihn hänseln oder übergriffig werden? Muss ich seine Sachen eines Tages aus der Schultoilette fischen oder ihn aus einer Mülltonne rausholen? Wird er irgendwann ein mal im Kindergarten oder der Schule einen Shutdown erleben? Wird er von den Menschen weiterhin normal behandelt, oder wird er nun gemieden und ausgegrenzt?
Autismus ist dynamisch, wird es für ihn weiterhin positiv laufen, oder erleben wir Rückschläge, die extremer sind, als das, was wir uns jemals ausgemalt haben?
Und was heißt das alles für unser Sozialleben? Werden wir nun gemieden?
Ja, es geht nicht nur um unser Kind, es geht auch um uns. Darum, wie wir nun unser Leben gestalten, welchen Rückhalt wir erfahren, welche Möglichkeiten zum Austausch es für uns gibt. Und vor allem, welche Möglichkeiten sind vorhanden, um einfach auch weiterhin Stina und Sebastian zu sein und nicht nur die Eltern eines gehandicapten Kindes. (Übrigens ergibt sich hieraus ebenfalls eine Fragestellung, die uns öfter begegnete in den letzten Tagen: Würdet ihr euer Kind ändern, wenn ihr könntet? Dazu werde ich einen eigenen Post verfassen, da ich finde, dass es eine enorm wichtige Frage ist, die viel Platz für Gedanken braucht.)
Wir müssen lernen den Dingen ihren Lauf zu lassen, mehr als je zuvor. All die Sorgen und Ängste sind schlicht und ergreifend Zukunftsmusik. Niemand weiß, wie er sich weiter entwickeln wird. Und egal wie, wir müssen es so nehmen, wie es kommt.
Fazit: ja, es ist anstrengend und nicht leicht für uns. Das Gedankencarousell dreht sich. Aber es ist leichter, als vorher, da wir nun etwas Greifbares in der Hand haben. Das Kind hat einen Namen bekommen.
Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, bis sich wirklich alles gesetzt hat und wir mit der Diagnose in der Tasche richtig durchstarten werden. Aber jeder Tag bringt uns diesem ganzen etwas näher.
Und das Wichtigste: Er hat zwar ein Handicap, aber er leidet nicht an einer tödlichen Krankheit!
Bis bald
Eure Stina
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen