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Montag, 18. Dezember 2017

Eine Reise in die Vergangenheit Teil III

Drei Monate bis ein Jahr

Clemens war sehr mobil, lachte viel mit mir , kuschelte gerne, schaute sich alles an. Aber eben nur mit mir oder seinem Papa.
Andere Menschen, fremde Umgebungen, alles machte ihm Angst. Mittlerweile war ich dazu übergegangen ihn nur noch zu tragen, da der Kinderwagen einfach nur ein rotes Tuch für ihn war.
Nahm ich ihn irgendwo mithin, schrie er, vergrub sich im Tuch.
Er konnte nie abschalten. Es gehörte zu unserem Alltag, dass ich ihm eine Tuchbahn oder das Sonnensegel der Trage über den Kopf ziehen , ihm singen und rhythmisch auf den Po klopfen musste, damit er sich beruhigen konnte. Irgendwann bin ich dazu übergegangen mich mit ihm im abgedunkelten Zimmer auf den Pezziball zu setzen.
Clemens liebte genau eine Spielsache auf der Welt und das war sein Spielbogen. Alle anderen Spielsachen wurden nur kurz beäugt und dann ignoriert. Aber sich bewegen, vorwärts kommen, krabbeln, laufen, das wollte er. Unbedingt.
Mit fünf Monaten konnte er krabbeln, er liebte es. Aber schaute immer noch wenig nach Spielzeug. Auch wenn ich mit ihm spielte, hatte er nie wirklich Interesse an den Dingen. Ball rollen, alle anderen Kinder liebten es, meines nicht. Er schaute den Ball kurz an und wartete nicht mal, bis der Ball zu ihm gerollt war. Er krabbelte vorher schon weg. Irgendwann in diesem Zeitraum fiel mir das erste Mal auf, dass er anders war, als die anderen Kinder. Das er anders guckt, als andere Kinder.
In Krabbelgruppen fühlte er sich extrem unwohl, weinte viel, saß rittlings auf meinem Schoß und guckte höchstens verstollen mal umher. Andere Kinder freuten sich, spielten mit den Spielsachen, schauten sich die anderen Kinder an. Alle Kinder - bis auf meines.
Mittlerweile waren wir umgezogen, in unser Haus, Clemens war sechs Monate alt. Immer noch spielte er mit wenig Spielzeug. Aber wenn er gerade nicht von mir rumgetragen werden wollte oder mit Essen beschäftigt war, konnte er sich unglaublich lange alleine beschäftigen. Er verbrachte mehrmals am Tag eine dreiviertel Stunde nur mit sich. Wir schafften es sogar ein Mal am Tag eine halbe Stunde im Kinderwagen spazieren zu gehen. Mittlerweile war der Sportwagenaufsatz drauf, da sah er was. Aber darin hinlegen durfte ich ihn nie. Er schrie direkt los, wehrte sich.
Und immer noch hasste er fremde Stimmen und Geräusche. Selbst in Umgebungen, die er kannte, konnte er nie lange ohne Körperkontakt zu mir sein.
Mit ca. sieben Monaten dachte ich wieder, dass er irgendwie anders ist. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Welt anschaute und sie doch nicht anschaute. Es war ganz seltsam.
Die Wochen vergingen, er wurde mobiler und mobiler, wurde aber nur mit einzelnen Menschen warm. Blieb in den Krabbelgruppen weiterhin rittlings auf meinem Schoß und interessierte sich nach wie vor nicht für jedes Spielzeug , sondern nur für eine Handvoll.
Kurz vor seinem ersten Geburtstag wollten wir ihn eine Krippe eingewöhnen. Wir waren insgesamt acht Wochen dort, dann stoppten wir das ganze. Es klappte einfach nicht. Er reagierte nur auf die Erzieherinnen, wenn sie ihm Essen anboten. Er spielte auch nach acht Wochen nicht wirklich und hatte keinen Draht zu den anderen Kindern, er sah sie nicht an, schaute ihnen nicht zu und reagiert auch auf sonst nichts, was irgendwie mit den Kindern zu tun hatte. Er saß entweder auf meinem Schoß oder hatte ein Holztier in der Hand. Wenn er sich mal beschäftigte räumte er den Korb mit den Holztieren aus oder kletterte auf Kisten und über Stufen.
Wie oft ich während diesem Versuch der Eingewöhnung dachte, dass er nicht wie andere Kinder ist, kann ich gar nicht zählen.
Mir fiel auch auf, dass er im Gegensatz zu den anderen Kindern spät auf seinen Namen reagierte und er viele Dinge einfach nicht tat, z.B. winken, Arme hoch heben, wenn man ihn fragte wie groß er sei.

Das bemerkenswerte war, dass er mit mir und ab ca . fünf Monaten auch mit seinem Papa, extrem schmußig war. Er wollte geknuddelt und gekitzelt sein, lachte viel mit uns, liebte uns, so wie wir ihn liebten. Ohne wenn und aber und von ganzem Herzen. Dieser Gegensatz von extremer Liebe zu unbändiger Überforderung und Ablehnung fiel immer mehr auf.
Das ein ums andere Mal habe ich , meist recht salopp , zu meinem Mann gesagt "Er hat bestimmt Autismus". Wie richtig ich doch mit dieser Aussage lag, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

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